Anita Fetz Medien Echo.  
1999 Früher AKW-Besetzerin, heute Unternehmerin
von Verena Mühlberger, in der WoZ vom 23.9.1999

Früher AKW-Besetzerin, heute Unternehmerin
Sie galt einst für viele radikale Linke und Feministinnen als Vorzeigefrau. Nun kandidiert Anita Fetz für einen SP-Nationalratssitz und spaltet damit nicht nur die Basler SozialdemokratInnen.
«Jetzt kommt meine Powerfolie!» Auf der Grossleinwand leuchtet ein Schwarzweissfoto auf: Es zeigt ein gutes Dutzend grauer, krawattierter Herren, die in Reih und Glied stehen. Die Referentin stellt den Hellraumprojektor ab, verschränkt die Arme über der Brust und lässt einen amüsierten Blick durch den Saal schweifen. Gelächter im Publikum. «Das ist die Führungsgruppe einer Firma, ich verrate Ihnen nicht, wie sie heisst: alles das Gleiche vom Gleichen. Woher soll da Innovation kommen?» Sie hat ihre Zuhörerinnen in der Tasche. Anita Fetz, Gleichstellungsexpertin, Unternehmerin und neuerdings Nationalratskandidatin für die SP Basel-Stadt, sprach Anfang September im Berner Kursaal vor rund zweihundert Frauen zum Thema «Gleichstellung von Frau und Mann – Chancen und Herausforderung für die Wirtschaft».
«Ich liebe diese Folie, ich verwende sie bei jedem Referat», erklärt Anita Fetz eine Woche später, im lauschigen Garten ihrer Firma, der femmedia ChangeAssist, in Basel. «Ich versuche jetzt, meine Botschaft eher an die Männer zu bringen, weil dort Veränderungen nötig sind.» – «Du vertrittst also keine Frauenanliegen mehr?» – «Was ich vertrete, überlege ich mir natürlich auch in Bezug auf die Frauen. Aber ich rede nicht mehr über die Frauenfrage.» – «Warum nicht?» – «Das ist abgedroschen und kommt nicht mehr an.» – «Bezeichnest du dich noch als Feministin?» – «Klar! Aber ich werde in feministischen Kreisen oft nicht mehr als Feministin wahrgenommen, in meinen geschäftlichen Kreisen hingegen gelte ich als Emanze.»
Die aufmüpfige Nationalrätin
Als Anita Fetz im Frühjahr 1998 ihr Comeback als Nationalratskandidatin ankündigte, schreckte sie die gesamte Basler Linke auf. Die SP hatte 1995 mit viel Proporzglück vier der sechs baselstädtischen Nationalratssitze gewonnen. Nach dem Austritt Margrith von Feltens drohte ihr nun ein Sitzverlust. So kam die Kandidatur Anita Fetz’ dem Parteivorstand ganz gelegen: Von der populären Politikerin und trendigen Unternehmensberaterin erhoffte er sich neue Stimmen bis hinein ins bürgerliche Lager. Ein Teil der Parteibasis hingegen befürchtete, die Newcomerin Fetz könnte verdiente und politisch verlässlichere GenossInnen verdrängen. Der Konflikt eskalierte im Februar 1999, als die Delegiertenversammlung der SP die KandidatInnen bestimmen sollte. Fast den ganzen Abend stritten sich die Delegierten über und mit Anita Fetz. Sie wurde schliesslich nominiert – allerdings mit dem schlechtesten Resultat.
Ehrgeizig ist die Baslerin schon immer gewesen. Und schnell: Als Achtzehnjährige beteiligte sie sich an der Besetzung des AKW Kaiseraugst, mit zweiundzwanzig übernahm sie das Basler Sekretariat der Organisation für die Sache der Frau (Ofra), mit siebenundzwanzig wurde sie für die kleine, linke Gruppierung Poch in den Basler Grossen Rat gewählt, ein Jahr später rückte sie für die Poch in den Nationalrat nach. Dort, das attestieren ihr sogar ihre vehementesten GegnerInnen, leistete sie ausgezeichnete Arbeit.
Zwischen 1985 und 1990 reichte Anita Fetz als Poch-Nationalrätin Vorstösse zu fast sämtlichen linken Themen ein: für Sanktionen gegen Südafrika, für den Ausstieg der Schweiz aus der Atomenergie oder gegen die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen. Ihre parlamentarische Initiative für eine Antidiskriminierungsgesetzgebung war der erste Anstoss zum heutigen Gleichstellungsgesetz. Sie hielt flammende Reden, zum Beispiel 1987 gegen die Wiederwahl von Bundesrat Arnold Koller. Sie scheute nicht davor zurück, ihr Mandat auch für spontane Aktionen zu nutzen: So unterstützte sie Frauen, die nach der Tschernobyl-Katastrophe von der Nationalratstribüne aus ein Transparent aufrollten. Die Berner Poch-Politikerin Barbara Gurtner, die zur gleichen Zeit im Nationalrat sass, erinnert sich gern an diese Zeit: «Wir ergänzten einander und zogen am gleichen Strick. Ihre Power gefiel mir, sie war jung und keck, hatte viel Ausstrahlung und war sehr engagiert.»
Die trendige Unternehmerin
Auch beruflich ist Anita Fetz eine Senkrechtstarterin. 1986 gründete sie gemeinsam mit ihrer Mitstreiterin aus der Ofra, Ruth Marx, das Büro für Beratung und Kommunikation femmedia. «Wir hatten Glück, denn Frauenförderung war damals noch eine Marktlücke», erinnert sich Ruth Marx. Schon nach kurzer Zeit habe die Firma grosse Aufträge erhalten. 1990 gab Anita Fetz ihr Nationalratsmandat auf, um sich ganz der femmedia zu widmen. Bald kam eine dritte Frau dazu, Susanne Honegger, später verliess Ruth Marx das Büro. Heute beschäftigen die femmedia-Inhaberinnen Fetz und Honegger vier feste und vier freie Mitarbeiterinnen. Frauenförderung ist schon lange nicht mehr ihr einziges Standbein: Die Firma, die sich jetzt femmedia ChangeAssist nennt, hat sich auf Unternehmungsberatungen bei «Veränderungsprozessen» (vor allem im Personalbereich) in Privatfirmen und öffentlichen Verwaltungen spezialisiert.
Prestigeträchtige Mandate kann die zielstrebige Geschäftsfrau ebenfalls vorweisen: früher als Mitbegründerin und Verwaltungsrätin der Alternativen Bank Schweiz und Stiftungsrätin bei Greenpeace Schweiz, heute als Bankrätin bei der Basler Kantonalbank, als Vizepräsidentin der Wirtschaftsfrauen beider Basel und der Schweiz, als Initiantin und Präsidentin von Catapulta, einem Impulsprogramm für Neuunternehmerinnen.
1997 feierte Anita Fetz mit ihrer Wahl in den Basler Grossen Rat ihr politisches Comeback; erst zwei Jahre zuvor war sie der SP beigetreten. (Die Poch hatte sich 1993 definitiv aufgelöst.) Seither macht sie sich hauptsächlich für die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) stark.
Die umstrittene Kandidatin
Die Politikerin Anita Fetz spaltet die SP in zwei Lager. «Sie ist gut für die SP-Fraktion», versichert etwa Fraktionschef Daniel Goepfert: «Sie hat etwas sehr Erfrischendes, weil sie sich immer überlegt, welches der kürzeste Weg zum Ziel ist.» Andere SozialdemokratInnen hingegen zweifeln an der linken Gesinnung ihrer Genossin. Insbesondere ihre Offenheit für New Public Management (der Reorganisation der Verwaltung nach marktwirtschaftlichen Kriterien) trug ihr innerhalb der SP den Ruf einer knallharten Modernisiererin oder gar einer Neoliberalen ein. Dazu kam, dass sie in zwei für Basel wichtigen Vorlagen eine andere Meinung vertrat als der linke Flügel der Partei: Diesen Frühling sprach sie sich für die Kredite zur Erweiterung des Flughafens aus. Und letztes Jahr bezog sie, allerdings diskret, Stellung gegen die Genschutz-Initiative.
Am schärfsten gehen Feministinnen mit der erfolgreichen Karrierefrau ins Gericht. «Im Grossen Rat ist sie wirtschaftslastig und weniger sozial», sagt zum Beispiel Ursula Glück, Grossrätin für die Frauenliste Basel (FraB). Die Basler Ökonomin und frühere Poch-Politikerin Mascha Madörin ergänzt: «Wenn sie glaubt, dass sie Wirtschaftspolitik betreibt, möchte ich das sehr bezweifeln. Das ist ein Fehler, den ich auch bei vielen bürgerlichen Unternehmern beobachte: Sie verkaufen ihre betriebswirtschaftliche Kompetenz als wirtschaftspolitische Kompetenz.»
Was Feministinnen Anita Fetz am häufigsten vorwerfen, ist mangelnde Frauensolidarität: Mit ihrer Kandidatur gefährde sie den Sitz von Christine Keller, einer weniger bekannten SP-Frau, sagen viele. Nützt es der Frauensache etwa mehr, wenn Anita Fetz nicht kandidiert? Hier wird es heikel, weil plötzlich Themen wie Neid, Konkurrenz und Macht auftauchen. Dies mag vielleicht erklären, weshalb nur wenige von ihren ehemaligen MitstreiterInnen bereit waren, sie öffentlich zu kritisieren. Die profilierte Politikerin wird beschrieben als eine, die keine gerne als Feindin haben möchte – aber auch nicht unbedingt als Freundin.
Die linke Pragmatikerin
«Ich will Erfolg haben und meine Ideen umsetzen», sagt die Angegriffene im Gespräch mit der WoZ ein wenig trotzig. Doch dann, im Laufe des Nachmittags am Gartentisch, vor Kaffee und Früchtekuchen, legt sie die Rolle der siegessicheren Geschäftsfrau ab, und hinter der Zeitgeistreiterin, die überall, von der Homepage bis zum Firmenlabel, für Wandel («menschlich gestaltet») und für Modernisierung wirbt, kommt die Achtundsechzigerin zum Vorschein: «In der SP ist die alte Generation am Abtreten, Peter Bodenmann ist gegangen, Andi Herczog tritt zurück. Die Jüngeren sind eher kompetente Fachleute, die weniger in historischen Dimensionen und strategisch-politischen Zusammenhängen denken. Ich finde aber Kontinuität wichtig, und ich will mithelfen, das Primat der Politik wieder her- zustellen.» – «Steht das nicht im Widerspruch zu deiner wirtschaftsfreundlichen Politik?» – «Die SP muss neue Wege suchen, sie darf sich nicht mehr begnügen, den Besitzstand zu wahren. Dazu gehört die Verselbständigung – nicht die Privatisierung – eines Teils des Service public, gerade weil ich andererseits für einen starken Staat bin.» – «Was unterscheidet deine KMU-Politik noch von derjenigen eines Gewerbeverbands?» – «Ich bin tief überzeugt, dass damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Meine KMU-Politik, das ist ein wichtiger Unterschied, will ich einbetten in eine ökologische Steuerreform: Energie soll besteuert werden und nicht Arbeit, damit Mittel für soziale Sicherheit frei werden. Anders als der Gewerbeverband trete ich für eine Kapitalgewinnsteuer, für den EU-Beitritt, für existenzsichernde Mindestlöhne und für die Mutterschafts- versicherung ein.» Ihr Engagement für KMU sei deshalb so stark, fügt sie hinzu, weil sie einen persönlichen Bezug dazu habe: «Ich gründete damals meine eigene Firma, weil ich wegen des Poch-Mandats im Nationalrat meinen Job beim Staat verloren hatte. Ich weiss, was es heisst, selbst ein Geschäft aufzubauen.»
Widersprüche stören Anita Fetz nicht. Die Politikerin gibt zu, dass sie in ihrem Bestreben, den Service public zu reformieren, auf starke Gewerkschaften angewiesen ist, die genau das tun, was sie selber ablehnt: das Erreichte verteidigen. Der Unternehmerin Fetz ist bewusst, dass ihre KMU-Förderung jenen Frauen, die gezwungen sind, Teilzeitjobs unter schlechten Bedingungen anzunehmen, nicht viel bringt. Sie habe Lust, sagt sie, neue sozialpolitische Visionen zu entwickeln. Auf der anderen Seite will sie ihre Rezepte gegen jene Linke verteidigen, die alles marktwirtschaftliche Denken im Dienstleistungsbereich und in der Sozialpolitik grundsätzlich ablehnen. Denn gerade darin liegt ihre Stärke: Anita Fetz nimmt neue Trends aus ihrer Berufswelt auf und vermengt sie mit Versatzstücken linken Gedankenguts.
Eine Theoretikerin ist die 42-Jährige nie gewesen, auch keine Dogmatikerin, und sie hat sich nie als Marxistin bezeichnet. Noch heute sieht sie sich eher als Macherin. Das heisst aber nicht, dass sie im Nationalrat genauso politisieren würde wie früher. Sie wolle, erklärt sie, nicht mehr reine Symbol- und Angriffspolitik betreiben, sondern vor allem umsetzen und mitgestalten – mit der Gefahr, dass sie vereinnahmt werden könnte. Doch dass sie deswegen keine Linke mehr wäre, bestreitet sie: «In diese Ecke haben mich die Medien gestellt.» Sicher gehört Anita Fetz nicht zu denjenigen Ex-Linken, die ganz das Lager gewechselt haben. Wenn sie es für nötig befindet, kann sie eigenwillig und unerwartet linkere Positionen vertreten als ihre Partei. So sprach sie sich im Frühjahr zusammen mit den radikalen KritikerInnen der bundesrätlichen Asylpolitik für die beiden Vorlagen gegen eine Verschärfung des Asylgesetzes aus.
Aufmüpfige Nationalrätin, trendige Unternehmerin, KMU-Politikerin, linke Pragmatikerin: Welche Anita Fetz ist es jetzt, die in den Nationalrat will? Die SP-Frau löst ambivalente Gefühle aus: weil sie einmal mit 68er-Parolen, einmal mit Glaubenssätzen aus der modernen Marktwirtschaft argumentiert; weil sie Feminismus uminterpretiert als Chancengleichheit und sich keinen Deut um Frauensolidarität schert; weil sie in der Wirtschaftspolitik die Perspektive der Unternehmerin einnimmt.
Doch trotz aller Ambivalenz wirkt Anita Fetz in ihrer politischen Entwicklung glaubwürdig. Und sie strahlt nach wie vor Power aus: Mit ihr hätte die SP eine profilierte Nationalrätin, die mit Herzblut und Lust politisiert und ihren GegnerInnen Paroli bietet.