Anita Fetz Medien Echo.  
2000 Von Musterkantonen lernen
von Daniel Gerny, in Cash vom 29.9.2000

Von Musterkantonen lernen - Die Integrationspolitik in den Kantonen Neuenburg und Basel-Stadt ist nachahmenswert
«10 Millionen Franken für Integrationsmassnahmen sind ungenügend», warnen Fachleute nach dem Nein zur 18-Prozent-Initiative und fordern eine nationale Integrationspolitik. Sie schlagen ein Modell vor, das in Basel und Neuenburg Erfolg hat: Dabei werden Einwanderern mehr Leistungen abverlangt.
Selbst Basler staunen, wenn sie in ihrer Stadt zwischen Erasmusplatz und Mustermesse durch die Strassen spazieren. Das Quartier hiess im Volksmund wegen seines Ausländeranteils von gegen 50 Prozent jahrelang Klein-Istanbul, nun blüht die einstmals graue, schmutzige, laute und nicht ungefährliche Gegend auf: Strassen werden begrünt und verkehrsberuhigt, Freier und Prostituierte vertrieben, Läden und Restaurants eröffnet. Binnen weniger Jahre soll das verslumte Quartier zur «guten Adresse» werden.
Ist die Wohngegend attraktiv, vermindern sich die Probleme des Zusammenlebens unabhängig vom Ausländeranteil automatisch, lautet eine Erkenntnis der Basler Regierung. Integrationspolitik wird so zum Städtebauprogramm, und dieses lässt sich der Kanton einiges kosten: Vergangenen März hiess das Volk einen 25-Millionen-Kredit zur baulichen Aufwertung der Stadt gut, und bis ins Jahr 2013 sollen gegen 100 Millionen Franken investiert werden. Dass damit erklärtermassen gute Steuerzahler aus den benachbarten Kantonen angelockt werden sollen, zeigt, dass die Basler nicht in erster Linie Romantiker, sondern vor allem kühle Rechner sind.
Damit sich die hier lebenden Ausländer die voraussehbar steigenden Mietzinse gleichwohl noch leisten können, investiert der Kanton in die Bildung der Fremden. Ausländer und Ausländerinnen werden hier mit sanftem Druck zum Deutschkurs gedrängt, von Freiwilligkeit ist nicht die Rede: Denn wer die Landessprache beherrscht, hat bessere Berufschancen und nützt so nicht nur sich selbst, sondern auch dem Kanton. «Ausländer sind ein Potenzial, das wir nützen müssen», sagt der Basler Integrationsbeauftragte Thomas Kessler nicht als guter Mensch, sondern der Not gehorchend: Seit Jahrzehnten kämpft der Kanton gegen Abwanderungstendenzen.
Finanzielle Forderungen an den Bund
Auch im Kanton Neuenburg, wo wie in Basel überdurchschnittlich viele Ausländer leben, hat man positive Erfahrungen mit einer offenen Politik gemacht: So kennt man dort seit 150 Jahren das Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene, das vor dem Frauenstimmrecht eingeführt wurde und dem das Volk am letzten Wochenende die kantonalen politischen Rechte für Ausländer hinzugefügt hat. «Die Einwanderungspolitik liegt in der Kompetenz des Bundes, doch der Kanton kann dafür sorgen, dass das Zusammenleben funktioniert», beschreibt Thomas Facchinetti, Ausländerbeauftragter des Kantons, die Situation.
Doch wer über politische Rechte verfügt und damit Verantwortung übernimmt, muss mit den Gepflogenheiten am Wohnort vertraut gemacht werden, und das hat vorerst Kosten zur Folge: Pro Jahr hat Facchinetti 700'000 Franken für Integrationsmassnahmen zur Verfügung, nicht ausländerspezifische Massnahmen im Bildungs- oder Baubereich nicht eingerechnet. Aufgrund der Zahlen aus dem eigenen Kanton fordert Facchinetti ein stärkeres Engagement des Bundes in der Ausländermigration. Die von Bundesrätin Ruth Metzler nach zähem Hin und Her vor kurzem in Aussicht gestellten 10 Millionen Franken bezeichnet Facchinetti als «völlig ungenügend».
Auch die Basler SP-Nationalrätin Anita Fetz schüttelt in Anbetracht der kärglichen Summe («Peanuts») den Kopf und fordert mit einem parlamentarischen Vorstoss die Einführung des Basler Integrationsmodells in der ganzen Schweiz: Dazu sollen die Kantone zur Schaffung eigener Strukturen verpflichtet und die Integrationspolitik durch eine Migrationsbeauftragte auf Bundesebene koordiniert und auf Erfolg überprüft werden. Mit massivem Mitteleinsatz soll in Bildungs-, Mediations- und andere Projekte (siehe Kasten) investiert werden. Fetz rechnet alleine auf Bundesebene mit Kosten von jährlich 100 Millionen Franken. Als «Paradigmenwechsel vom alten Defizit- zum neuen Potenzialansatz» bezeichnet Fetz die Grundidee, die auch in ihren eigenen Reihen Bauchweh verursacht. So fordert Fetz in ihrer Motion unter anderem, dass Kursbesuche an den Bezug staatlicher Sozialleistungen gekoppelt werden können, womit sich die Nationalrätin vom in der 68er-Generation liebevoll gepflegten Helfersyndrom verabschiedet. «Ausländer und Ausländerinnen müssen unsere Sprache lernen», verlangt Fetz glasklar und in einem Ton, den man bislang von linker Seite nicht gewohnt war.
Als «Basler Offensive» bezeichnet Anita Fetz ihr mit den kantonalen Behörden wohl abgestimmtes Vorgehen auf nationaler Ebene. Schon einmal hatten die Nordwestschweizer mit dem Export eigener Rezepte Erfolg, als das in Basel auf Herz und Nieren geprüfte Vier-Säulen-Prinzip in Suchtfragen auf Bundesebene adaptiert und damit die Drogenprobleme aus den Schlagzeilen katapultiert wurden. «Es wäre schön, wenn dieses Mal nicht Jahre vergingen, bis die übrige Schweiz die in Basel und Neuenburg erfolgreiche Politik übernimmt», sagt Fetz: «Denn die nächste Einwanderungsinitiative kommt bestimmt.»
klein, aber fein
Mit einfachen Projekten fördert die Basler Regierung das Zusammenleben zwischen Ausländern und Schweizern, vermeidet Konflikte und macht die Einwanderer für das Berufsleben fit.
Streitlos: Statt Nachbarschaftsstreitigkeiten zu verdrängen, bis eszum Konflikt vor dem Richter kommt, setzt Basel auf ein Mediatorenteam: 20 professionelle Vermittler mit unterschiedlicher beruflicher und nationaler Herkunft nehmen sich alltäglicher Konflikte vor Ort an und suchen eine einvernehmliche Lösung. Der Staat spart erst noch Gerichtskosten. Lernen im Park: In der warmen Jahreszeit schwärmen Deutschlehrer in die Stadtparks und unterrichten die dort häufig anzutreffenden Ausländerinnen, welche sich erfahrungsgemäss aus verschiedenen Gründen nicht für einen Sprachkurs anmelden. Der Erfolg ist durchschlagend: Bereits mussten die Zahl der Kurse verdoppelt und Lehrgänge im Winter angeboten werden.
Quartierzentrum: Ausländern und Schweizern steht in Kleinbasel, das einen hohen Ausländeranteil hat, demnächst ein betreutes Quartierzentrum zur Verfügung, eine Mischung aus Verwaltungsstelle und Treffpunkt. Dort ist Auskunft über das Leben im Quartier und in der Stadt erhältlich, und es wird das nachbarschaftliche Leben gepflegt. Integration beginnt in der unmittelbaren Wohnumgebung, lautet die Grundidee für das Projekt.