Anita Fetz Medien Echo.  
2001 "Wir sind ein Einwanderungsland"
Interview in der Weltwoche vom 13. Juni 2002, von Markus Schneider und Martin Beglinger

"Wir sind ein Einwanderungsland"
SP-Nationalrätin Anita Fetz über Basel als Vorbild für Ausländerintegration, die Mühe der Linken mit dem Thema Sicherheit und die Misstrauenskultur in ihrer Bundeshausfraktion..
Frau Fetz Sie wohnen seit zehn Jahren im Kleinbasel, einem Quartier mit einem sehr hohem Ausländeranteil. Dachten Sie nie ans Ausziehen?
Nein. Aber wir haben es uns lange überlegt, als wir vor zehn Jahren hierhin gezogen waren. Damals gab es noch die offene Drogenszene direkt vor dem Haus, das wir mieten konnten, weil es Familien mit Kindern nicht wollten. Ich fragte mich vorher schon: Halte ich dieses Elend aus? Und fühle ich mich sicher?
Hatten Sie Angst?
Ich begegnete den Drogenkranken jeden Tag, und machte dabei eine interessante Erfahrung: Nach drei, vier Wochen war es nicht mehr eine anonyme Masse, sondern ich nahm die einzelnen Menschen wahr. Da war zwar immer noch das Elend, aber ich fühlte mich persönlich nicht mehr unsicher. Entscheidend war dann die Wende in der Basler Drogenpolitik mit der kontrollierten Drogenabgabe und den Gassenzimmern. Heute lebt hier eine sehr heterogene Bevölkerung vom Handwerker, über den Anwalt bis zur Lehrerin und Künstlerin. Das Wohnheim für obdachlose Männer existiert neben exklusiven Schmuckläden, die Alternativbeiz neben InBars und Quartierspunten. Heute habe ich das Glück, dass ich dank der fortschrittlichen Drogenpolitik an bester Wohnlage lebe. In drei, vier Jahren werden andere Teile des Kleinbasel wieder durchmischter sein, weil im Quartier wieder investiert wird.
Frau Fetz, sind Sie schon einmal überfallen worden?
Nein, überfallen nicht. Aber ich wurde schon in der Beiz angepöbelt und auch tätlich angegriffen. Ich habe zwar gelernt, mich zu verteidigen, doch war ich froh, dass ich Leute um mich herum hatte, die ich kenne, in der Beiz wie im Quartier.
Fühlen sich alle in Kleinbasel so sicher?
Meine Schwiegermutter zum Beispiel kennt das Quartier nicht und fühlt sich dort sehr unsicher und nimmt deshalb ein Taxi und nicht das Tram, wenn sie uns besuchen kommt. Das Image des Kleinbasels ist leider schlechter als die tatsächliche Lebensqualität.
Tatsache bleibt aber, dass in den letzten Jahren scharenweise Schweizer und Schweizerinnen weggezogen sind aus Quartieren wie das Kleinbasel - nicht zuletzt Linke.
Ja dieser Auszug hat stattgefunden, auch in Basel. Aber das war in den 90er Jahren, jetzt gibt es eine leichte Trendwende, auch durch neue Wohnbauten.
Für Sie ist das Leben in diesem Umfeld einfacher, weil Sie keine Kinder haben. Vor allem Schweizer Eltern mit schulpflichtigen Kindern sind in andere Stadtteile gezogen sind.
Auch das stimmt. Es gibt zwei Grundprobleme: Hat es genügend grosse Wohnungen für Familien? Und wie geht man mit dem hohen Anteil fremdsprachiger Kinder in den Schulen um? Aber gerade die betroffenen Schulen haben auf diese schwierige Situation kreativ und engagiert mit vielen Spezialmassnahmen reagiert. Im Kleinbasel finden Sie deshalb Klassen mit einer Bildungsqualität, die sogar besser ist als in homogenen Schulen mit einem hohen Anteil an Schweizer Kindern.
Wo liegt diese Qualität?
In den innovativen Unterrichtsmethoden. Ein wichtiger Ansatz ist das Konzept der Zweisprachigkeit. Nur wer seine Muttersprache lernt, kann auch eine Fremdsprache gut lernen. Dazu kommen Teamteaching, der Einbezug von ‚ausländischen' Lehrkräften, die Förderung der Leselust, Projektunterricht, der gezielte Einbezug der Eltern. Diese Investition in die Bildungsqualität geschieht in vielen Städten und Gemeinden der Schweiz und kommt auch den Schweizer Kindern zugute. Das kostet allerdings Geld. Deshalb forderte ich den Bundesrat auf, den Kredit für Integrationsmassnahmen von heute 10 auf 100 Millionen zu erhöhen. Der Bund kann diese Kosten nicht einfach den Kantonen und Gemeinden aufhalsen. Leider haben die Bürgerlichen auf der Bundesebene noch nicht begriffen, dass ihre Sparhysterie mitschuldig ist, dass auf Kantons- und Gemeindeebene viele gute Massnahmen nicht durch geführt werden können, die hohe Kosten im Fürsorgewesen überflüssig machen würden.
Schweizer Eltern haben doch vor allem Angst, das Niveau sei tiefer in Klassen mit vielen Fremdsprachigen.
Das ist auch so, wenn man nichts tut. Mit den oben genannten Massnahmen wird aber die Qualität für alle Schüler besser.
Plädieren Sie deshalb, wie im "Blick" zu lesen war, für das "Busing", also das Herumfahren von Kindern zwischen Schulhäusern, um einen Ausgleich zwischen Klassen mit hohem und tiefem Anteil an Fremdsprachigen zu bewirken?
Ich plädierte primär für eine Integrationsoffensive, welche die Schulen nicht alleine lässt. Auf die Frage nach dem Busing habe ich gesagt, dass ich mir auch eine gezielte Umverteilung von Schülern vorstellen könne, allerdings nur auf der Oberstufe. Aber wenn die Fachleute sagen, das tauge nichts, dann ist das für mich vom Tisch. Wichtig ist, dass wir in die Aufwertung der Quartiere investieren. In Basel gibt es seit drei Jahren eine offizielle Integrationspolitik, die über die Parteigrenzen hinaus getragen wird. Nur dank diesem Konsens wurden auch die entsprechenden Gelder vom Kantonsparlament gesprochen, zum Beispiel 25 Millionen für ein Aufwertungsprogramm des Kleinbasel und anderer Quartiere.
Basel als Vorbild für die Schweiz?
Warum nicht? Als Quartierbewohnerin und Grossrätin habe ich jedenfalls selber erlebt, wie man hier in einer sehr schwierigen Situation innerhalb von ein paar Jahren eine Trendwende hingebracht hat - dank dem Zusammenspiel von Quartierbewohnern, Behörden, Lehrerschaft, Integrationsfachleuten und politischer Kultur.
Das tönt so, als gebe es in Basel kein Ausländerproblem.
Doch, in einzelnen Quartieren schon. Aber wir haben heute Lösungsansätze, die wir vor fünf oder zehn Jahren noch nicht hatten. Die Integrationspolitik muss nach dem gleichen Muster wie die Drogenpolitik funktionieren: Zuerst die Probleme offen legen und dann massgeschneiderte Lösungen finden. Wenn man einmal akzeptiert hat, dass man diese Probleme nicht ideologisch lösen kann, sondern dass Einwanderung oder Drogensucht eine Tatsache in modernen Gesellschaften sind, wächst das Bewusstsein dafür, wie man damit leben kann.
Ihre Partei hat in den letzten Wochen die Öffentliche Sicherheit zu diskutieren versucht via "Blick" - eine völlig verunglückte Übung.
Ich hoffe, dass wir daraus ein bisschen lernen.
Noch vor zwei Monaten haben Sie gesagt, das Thema Integration müsse man aus den Schlagzeilen bringen. Jetzt ist genau das Gegenteil geschehen.
Deshalb war ich ja so frustriert. Das war jedenfalls eine verunglückte Medienstrategie. In unserer Fraktion sagte jemand, da sei ein voll mit guten Ideen beladener Wagen frontal in eine Mauer gecrasht. Dieses Bild trifft's.
Und jetzt? Nichts ausser Trümmern?
Keineswegs, die Diskussion läuft jetzt. Geärgert hat es mich trotzdem, weil wir Linke zum Thema Integration wirklich Lösungen zu bieten haben und sich Hunderte von engagierten Genossinnen in den Gemeindebehörden, in den Schulvorständen, bei der Lehrerschaft täglich für die Integration engagieren. Doch die Blick-Schlagzeile "SP will Ausländerquoten" hat für ein paar Tage jede vernünftige Diskussion verunmöglicht - auch wenn das nie jemand in der Partei gefordert hat. Die ganze Debatte lief völlig chaotisch ab und hat einen Vertrauensschaden ausgelöst.
Bei wem?
Ich erhielt viele Mails von verärgerten Leuten an der Basis. Als ich mich dann erklären konnte, fanden viele, ich habe inhaltlich recht, aber auch ich hätte mich nicht auf das Glatteis des Boulevard begeben dürfen.
Positive Reaktionen hatten Sie nicht?
Doch, ebenso viele. Viele Genossen sagten, der Blick-Stil war daneben, aber bleibt dran am Thema, auch wir wollen und müssen etwas dazu sagen. So brutal es auch ist, letztlich sind es auch Schlagzeilen, die ein Thema wieder hoch bringen.
Vielleicht hätten Sie es eher in der NZZ tun sollen. Immerhin werben Sie für das Leibblatt des Freisinns.
Ich würde mich über ein Gespräch zu diesem Thema mit bürgerlichen Exponenten in der NZZ freuen. Das Honorar für die NZZ- Werbung habe ich übrigens dem Recherchierfonds der WoZ überweisen. Es hat mich prächtig amüsiert, das Geld für die WoZ vom "politischen Gegner" zu holen. Das ist für mich praktische Umverteilung.
Sie müssten doch für den "Blick" werben. Der ist - wie die WoZ sagt - die einzige linke Tageszeitung im Land.
Auch die WoZ hat nicht immer Recht. Der "Blick" ist einfach eine Boulevardzeitung, die politische Themen hochfährt.
Es ist doch offensichtlich, dass das Thema Sicherheit für die SP in einer grossen Tabuzone liegt. Warum?
Viele finden, wir könnten damit nur verlieren und den Rechten in die Hände arbeiten. Ich habe diese Angst nicht. Beim Kampf gegen die 18-Prozent-Initiative habe ich erlebt, dass man die Stimmung ändern kann, wenn man mit den Leuten direkt redet und ihre Probleme ernst nimmt.
Die Parteispitze hat das Thema Sicherheit jedenfalls schnell wieder in den Giftschrank versorgt.
Nein, die Debatte wird jetzt intensiv geführt. Die meisten von uns wollen öffentliche Sicherheit nicht zum zentralen Wahlkampfthema machen. Auch ich nicht. Wenn schon, wäre mir der Begriff ‚Gerechtigkeit und Sicherheit' lieber. Nur meine ich, dass wir das jetzt offensiv diskutieren sollten, sonst werden wir es dann zwei Monate vor den Wahlen tun müssen - aus der Defensive heraus.
Auch beim Thema Kriminalität sieht die SP nur noch rot. Warum?
Nicht alle sehen rot. Ich habe selber lange nicht begriffen, warum das teils so ist. In der Fraktion sind wir uns ja alle einig, dass die schlimmste Kriminalität noch immer die Wirtschaftskriminalität ist.
Fahndung nach Fluchtgeldern in Ehren, aber hier fühlen sich nur wenige Leute sicherer, weil die Schweizer Banken Diktatoren-Millionen nach Afrika und Asien zurück geben.
Man soll das eine tun und das andere nicht lassen. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen den Fluchtgeldern und der Armutsmigration. Heute werden den Staaten der 3. Welt durch Fluchtgelder Milliarden entzogen, während die Bevölkerung keine Perspektive hat und jeden Tag Zehntausende von Kindern an Unterernährung sterben.
Ernst nehmen müssen wir aber auch die Sorgen unserer Bevölkerung inbezug auf die Brutalität und Kriminalität in allen gesellschaftlichen Bereichen, z.B. in der Familie, auf der Strasse und in den Schulen. Dazu gehört auch, dass die Quartier- und Dorfpolizei wieder aufgewertet wird und mehr Mittel erhält, und damit das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wieder erhöht wird.
Aber schon das findet in Ihrer Fraktion keine Mehrheit.
Mag sein. Ich finde es trotzdem eine gute Idee, die SP Genf und Aargau haben es auch schon so beschlossen. Dies ist etwas völlig anderes als die Polizei des Fichen- und Überwachungsstaats. Wir wollen eine Polizei von unten und keine Aufrüstung einer Bundessicherheitspolizei wie Frau Bundesrätin Metzler.
Jetzt bietet die SP das Bild einer Partei, die sich nicht um die Sorgen der kleinen Leute im Land kümmert.
Das stimmt so nicht. Die Diskussionskultur in der Bundeshausfraktion ist halt nie die gleiche wie an der Basis und in den Sektionen, wo man die konkreten Probleme sieht und lösen muss. Darum ist dort die Vertrauenskultur höher...
...die es in der Fraktion nicht gibt.
..die es dort weniger gibt, ja. Wir haben schon eine grosse Misstrauenskultur in der Fraktion. Das ist die grosse Herausforderung für die neue Fraktionspräsidentin Hilde Fässler. In der SP Basel haben wir auch oft Differenzen, aber dann geht's wieder zur Sache. Moment, mein Natel, ich habe es abzustellen vergessen.
Das ist, wenn uns Ihre Natel-Melodie nicht täuscht, die Filmmusik von James Bond.
Stimmt. Ich mag James Bond-Filme.
Auch nicht unbedingt ein mehrheitsfähiger Geschmack in Ihrer Fraktion...
Keine Ahnung. Ich wandle gerne zwischen den Welten und habe dabei auch viel gelernt. Ich habe einerseits ein kleines Unternehmen, bin in einer linken Partei, habe tiefe ökologische Wurzeln. Früher hatte ich es viel einfacher, da bewegte ich mich nur in einer Welt. Heute versuche ich, gewisse Dinge einfach neu anzuschauen.
Zum Beispiel die öffentliche Sicherheit.
Ja. Aber ich bin da gar nicht immer so bombensicher wie manche andere in meiner Fraktion, wenn es um irgend ein Thema geht.
In Ihrer Fraktion scheint ein Klima zu herrschen, wo man und frau genau weiss, was man und frau sagen darf und was nicht.
Das ist tatsächlich manchmal schwierig bei uns. Ich sage heute offen, dass ich lange dachte, das werde sich ändern, wenn sich die Leute einmal besser kennen.
Auch die SP-Fraktion hat offensichtlich auch ihr eigenes Integrationsproblem.
Ja. Allein schon zwischen Romands und Deutschschweizern. Für mich gibt es nur eine Lösung: Akzeptieren, dass es so ist. Und darauf vertrauen, dass alle - bei allen Unterschieden - ungefähr in die gleiche Richtung steuern wollen. Im Moment sind wir nicht so weit, aber ich gebe meine Hoffnung nicht auf. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir politisch irrelevant.
Noch vor dem ganzen Wirbel behaupteten Sie, Integration sei im Grunde kein Problem. Wie kommen Sie darauf?
Ich sagte, Integration sei ein Thema, das auf dem Weg des politischen Konsens zu lösen sei. Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Statt Milliarden an Steuergeldern in eine auf Abgrenzung orientierte Ausländerpolitik zu verschleudern, braucht es auf Bundesebene einen Paradigmenwechsel: Nach dem Prinzip "Geben und Nehmen" sollen Zuzüger aus dem Ausland individuell gefördert, aber auch gefordert werden. Dabei ist die frühzeitige Integration entscheidend. Kinder müssen viel früher in den Kindergarten gehen, denn die lernen blitzschnell. In Basel nehmen vermehrt auch Erwachsene an zielgruppeorientierten Integrationsprogrammen mit Deutschkursen teil.
Und wenn sich jemand gar nicht integrieren will?
Diese Leute erfassen wir über die Ausländervereine. Und die stehen wiederum mit den Integrationsfachleuten in Kontakt. In Basel läuft zum Beispiel das sehr erfolgreiche Programm "Lernen im Park", wo ausländische Frauen Deutsch lernen, während ihre Kinder in der Schule sind. Die Warteliste für diese Kurse beträgt heute über 250 Personen.
Franz Steinegger verlangt, dass solche Deutschkurse für alle obligatorisch sein müssen.
Dagegen habe ich grundsätzlich nichts. Aber dann soll der Freisinn endlich bei der Finanzierung der gesamten Integrationsmassnahmen mit helfen. Eine Subkommission der WBK, die ich präsidiert hatte, hatte den Auftrag eine Bildungsoffensive für bildungsferne Bevölkerungsschichten auszuarbeiten. Sie wurde mitten in der Arbeit, als alle Fachleute bestätigt hatten, wie wichtig das sei, von der FDP zusammen mit der SVP aus Kostengründen abgeschossen.
Sollen die Integrationsmassnahmen auch mit Zwang durchgesetzt werden?
Befehlen nützt nichts. Es ist viel besser, wenn den Betroffenen von ihren eigenen Landsleuten in Integrationskursen erklärt wird, welche Regeln des Zusammenlebens hier gelten, v.a. dass Frauen bei uns gleichberechtigt sind und auch so behandelt werden müssen. Wir akzeptieren hier keinen Schleierzwang, kein Bildungsverbot für Mädchen und keine Gewalt gegen Frauen. Gibt es kulturelle Konfliktsituationen, machen wir in Basel gute Erfahrungen mit ausgebildeten Mediatoren.
Um auf den Rechtspopulismus zu kommen: Reicht es, wenn die linke Antwort darauf nur "pfui" heisst?
Natürlich reicht das nicht. Wir müssen differenzierte Lösungen bringen. Der Rechtspopulismus instrumentalisiert einfach Themen, welche die Leute unsicher machen - zum Beispiel Kriminalität oder Ausländer. Eine SVP löst nicht die Probleme, sondern schürt einfach die Ängste. Wir haben in den 90er Jahren Hunderttausende von Arbeitsplätzen verloren, auch für Kader gibt es keine sicheren Arbeitsplätze mehr. Das hinterlässt kollektive Unsicherheitsgefühle. Die Begrenzung der Ausländerzahl löst diese Probleme nicht. Die Rechtspopulisten wollen vielmehr ihre egoistischen Partikularinteressen durchzusetzen. Man kann nicht - wie jüngst wieder die SVP verlangte - billigste ausländische Arbeitskräfte für die Landwirtschaft ins Land holen wollen und sich nachher über den hohen Ausländeranteil beklagen. Wenn wir Arbeitskräfte rufen, dann kommen Menschen und ihre Familien und die sollen sich hier wohl fühlen und integrieren können.
Was haben Sie für Lösungen?
Zunächst müssen wir akzeptieren, dass die Schweiz auch ein Einwanderungsland ist. Mit unserer Bevölkerungspyramide, mit immer mehr alten und immer weniger jungen Menschen, sind wir auf Einwanderung angewiesen. Unsere Spitäler, die Gastronomie, der Tourismus, die Bauwirtschaft, wie auch die Universitäten könnten keinen Tag funktionieren, ohne die Mitarbeit vieler Menschen, die keinen Schweizer Pass haben. In Zukunft werden wir noch viel durchmischter sein, allein schon wegen der bilateren Verträge mit der Personenfreizügigkeit der EU und der absehbaren EU-Osterweiterung. Es ist künftig der Normalzustand, dass immer mehr Menschen, die hier leben, nicht in diesem Land geboren sind. Umgekehrt werden immer mehr Schweizer im benachbarten Ausland leben und arbeiten.
Die Frage ist doch, wer darf rein und wer nicht?
Es braucht klare und faire Regeln. Da hat die SP-Migrationsfachgruppe unter Regine Aeppli einen guten Vorschlag erarbeitet: Ein Unternehmen muss erstens den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften nachweisen; zweitens muss der Arbeitsplatz zukunftsträchtig sein und keine billige Strukturerhaltung; und drittens sollen die Unternehmen für die Integration dieser Arbeitskräfte mitverantwortlich sein. Unter diesen Bedingungen sollen Firmen ausländische Arbeitskräfte ohne grossen Administrativaufwand bekommen. Damit sparen wir zig Millionen an Bürokratieaufwand.
Führt dieses Konzept nicht zu einer Masseneinwanderung?
Wenn die Wirtschaft floriert und Arbeitskräfte braucht, dann haben wir auch den entsprechenden Wohlstand, um sie zu integrieren. Bedingung dafür ist, dass für alle Arbeitnehmer, egal mit welchem Pass, soziale Arbeitsbedingungen herrschen. Dazu gehören garantierte Mindestlöhne, Gesundheitsschutz und geregelte Arbeitszeiten.
Es könnten also nur noch Leute mit einem Nachweis für eine Arbeitsstelle kommen?
Das ist die eine Gruppe. Die anderen sind die Verfolgten. Die Politik muss endlich aufhören, Ausländer- und Asylpolitik ständig zu vermischen.
Nur kann man die oft schlecht voneinander unterscheiden.
Wir haben im Asylbereich genügend gesetzliche Vorschriften. Flüchtlinge, die vorläufig oder definitiv aufgenommen sind, müssen arbeiten und sich weiter bilden dürfen. Das Arbeitsverbot ist total kontraproduktiv, denn die jungen Männer hängen sonst einfach auf der Gasse rum. Dies fördert die Kriminalität viel eher. Eine bessere Beschäftigungsintegration entlastet auch die Sozialbudgets der Gemeinden und Kantone.
Gibt es eine Obergrenze für das Einwanderungsland Schweiz?
Die Ausländerzahl in der Schweiz kann man nicht mit festen Quoten definieren. Sie wird vielmehr von der Prosperität der Wirtschaft bestimmt.
Das sagt ausgerechnet Anita Fetz: eine linke Politikerin, die den Neo-Patriotismus zelebriert.
Meinen Sie das T-Shirt mit Schweizerkreuz, das ich anlässlich der UNO-Debatte im Nationalrat getragen habe? Ich finde, Bilder sagen oft mehr als Tausend Worte. Die Botschaft ist auch verstanden worden: Wir Linken dürfen das Heimatbild und die Schweizerfahne nicht einfach den Rechten überlassen (haut auf den Tisch), denn dies ist genauso unser Land. Für die Uno zu sein ist total schweizerisch! Wir führen damit unsere humanitäre Tradition der guten Dienste in einer globalisierten Welt weiter. Die UNO verkörpert die Hoffnung, dass nicht nur die Wirtschaft sondern endlich die Gerechtigkeit globalisiert wird. Dieser Abstimmungssieg ist ein Sieg der toleranten, offenen Schweiz. Das lasse ich mir von keinem Typen rechtsaussen aberkennen. Es ist auch meine Schweiz, meine Heimat!
Keine Mühe mit solchen Begriffen?
Gar nicht. Ich betrachte mich in der historischen Tradition der Gründungsväter der schweizerischen Arbeiterbewegung, die das Wahlrecht, soziale Gerechtigkeit und die AHV erstritten haben. Und von unseren Müttern, die jahrzehntelang fürs Frauenstimmrecht und die Gleichberechtigung gekämpft haben. Ich gehöre zur Generation der ‚Neuen Linken', die mit der Anti AKW-Bewegung die ökologische Wende eingeleitet und im Kampf gegen die Ausbeutung der 3. Welt politisiert worden ist und damit die Oeffnung der Schweizerischen (Aussen-) Politik vorgespurt hat. Das ist unser Beitrag an die Schweiz. Heute muss man das Heimatgefühl ausdehnen, man muss grosszügig mit Heimat umgehen und jene aufnehmen, die ihr Heimatland wechseln - aus welchen Gründen auch immer. Zu meinem Heimatbegriff gehört auch Toleranz. Nur wer selbstbewusst ist, kann auch tolerant sein.
Wenn sie mehrheitsfähig bleiben wollen, braucht die SP neue Allianzen mit den Bürgerlichen.
Ja, aber das ist schwierig, wenn FDP und CVP nach rechts rutschen. Eine vernünftige Migrationspolitik kann man nur machen, wenn die relevanten politischen Kräfte am gleichen Strick ziehen. Die Eingewanderten sollen integriert und nach einer gewissen Zeit problemlos eingebürgert werden können. Nur ist man im eidgenössische Parlament (noch) nicht bereit, in die Integration zu investieren. In Basel haben die Bürgerlichen mitgezogen, weil man vor Ort einfach die realen Probleme sieht. Aber im Bundeshaus geht es vor allem um Taktik, Strategie, Profilierung. Der nächste Test wird das Bürgerrechtsgesetz sein. SP und CVP werden der erleichterten Einbürgerung zustimmen. Die FDP ist noch am taktieren.
Immerhin, auch Sie selber müssen sich profilieren. 2003 möchten Sie gerne Basler Ständerätin werden.
Erstens wird die Partei entscheiden, wer nominiert wird. Und zweitens ist mir das politisch sensible Thema Migration und Integration viel zu ernst, um es als Profilierungsfeld zu nutzen.