Anita Fetz Medien Echo.  
2003 Die Schweizer Werte anders besetzen
Interview in 'links.ch' Nr. 28 vom August 2003, von Anja Jilg

Die Schweizer Werte anders besetzen
So sieht grenzenloser Patriotismus aus
Patriotismus, das schien ein Begriff zu sein, der für immer von den politischen Kräften rechts von der Mitte besetzt war. Jetzt stellt die SP mit ihrem Wahlplakat klar: Vaterlandsliebe kann auch anders aussehen. Nationalrätin Anita Fetz über linken Patriotismus.
Anita, wie hast du den 1.August gefeiert?
Auf der Terrasse mit Freunden und einem guten Nachtessen. Wir haben bei uns in Basel das 1.August-Fest samt Feuerwerk direkt vor unserer Haustür. Feuerwerk ist für mich etwas vom Grössten.
Die SP bekennt sich auf ihrem Wahlplakat zum Patriotismus. Am 1.August zeigen Patrioten, dass sie stolz sind auf ihr Land. Auf welche Schweizer Werte bist du stolz?
Zum Beispiel auf die direkte Demokratie, auf die Tradition der humanitären Hilfe, auch wenn es Zeiten gegeben hat, in denen sie in den Hintergrund getreten sind. Auch die aktive Neutralität ist mir wichtig. Sie bedeutet für mich, sich für Menschenrechte und den Frieden einzusetzen und sich nicht um alle internationalen Zusammenhänge zu foutieren. Positiv ist auch die AHV, die ganz stark mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie zusammenhängt.
Negativ ist für mich die Neutralitätspolitik, wie sie die offizielle Schweiz während des kalten Krieges ausgeübt hat. Da hat man sich einfach aus allem herausgehalten, ausser wenn es einem wirtschaftlich genützt hat (z.B. Südafrika). Bei der Auseinandersetzung um die Rolle der Schweiz im zweiten Weltkrieg sehe ich positives und negatives. Etwas vom schlimmsten war der "J"-Stempel. Aber wir haben auch Helden wie Paul Grüninger. Er ist dank der Linken endlich rehabilitiert.
Anita Fetz. Bild Claude Giger Anita Fetz: «Die Schweiz gehört allen, und die Öffnung zur Welt ist für unser Land von nationaler Bedeutung.»     Bild: Claude Giger
Trotzdem: Für mich hat Patriotismus den Beigeschmack von unkritischem Nationalstolz. Patrioten sind doch eigentlich die, die finden, die Schweiz macht es am besten und am besten alleine. Damit hat die Linke bisher nichts zu tun haben wollen.
Du hast recht mit diesem Eindruck. Unsere nationalen Symbole sind in den letzten 15 Jahren radikal von den Rechten besetzt worden. Sie haben die Schweiz ins politische Reduit geführt. Wir haben das zugelassen. Es gibt auch die andere Schweiz, die patriotisch ist im republikanischen Sinne, dass sie zum eigenen Land steht, kritisch, offen und tolerant ist. Es war politisch falsch, dass die Linke sich so stark distanziert hat. Doch man muss das im historischen Zusammenhang sehen: Während des kalten Krieges wurde die Linke in der Schweiz systematisch ausgegrenzt. Jetzt liegt es an uns, die Schweizer Werte positiv zu besetzen und zu aktualisieren. Dazu gehört die Öffnung zur EU und gegenüber den Menschen, die ohne Schweizer Pass bei uns leben.
Viele Leute haben aber genau davor Angst. Die anderen Patrioten wollen die Schweiz schützen vor dem Fremden, das sie droht zu verändern. Wie gehst du mit solchen Ängsten um?
Die Linke muss sich nicht nur rational mit dem Thema beschäftigen, sondern auch emotional. Offen kann nur sein, wer selbstbewusst ist. Der Titel unseres Plakats drückt diese Forderung gut aus: Unser Patriotismus ist grenzenlos. Wir sind ein Teil der Welt, Teil von Europa. Das ist wie in einer Familie oder in der Nachbarschaft. Wenn ein Mitglied sich immer von allem distanziert und nichts zur Gemeinschaft beiträgt, dann helfen die anderen nicht mehr, auch wenn es mal nötig wäre. Das kritisiere ich am reaktionären Patriotismus, der so tut, als seien wir die Grössten auf der Welt. Das führt dann zu arrogantem Fehlverhalten, wie es die Zürcher Regierung, Unique und Swiss beim Staatsvertrag mit Deutschland demonstriert haben. So löst man keine Probleme mit den Nachbarn.
Im Wort Patriotismus steckt aber das Wort Patria, Heimatland. Das Heimatland hat also einen besonderen Stellenwert. Wie verträgt sich das mit dem traditionell linken Internationalismus? Ist der Traum von der grenzenlosen Völkergemeinschaft ausgeträumt?
Jein. Mich selber hat das Konzept von der Internationalität sehr geprägt. International denken und lokal handeln, ist das Motto. Die Menschen sind geprägt von der Realität, in der sie leben. Diese Art Heimatgefühl hört nicht bei den Landesgrenzen auf, sondern bezieht sich auf konkrete Menschen und die Lebensregion. Hier in Basel haben wir zum Beispiel einen engeren Kontakt zum Elsass und zum Badischen als zu vielen Schweizer Gebieten. Ich bin überzeugt, dass ein vereinigtes Europa der Regionen unsere Zukunft ist.
Werden nun die Linken auch ganz locker über Volk und Heimat reden und die Schweizerfahnen überall hissen? Sind die üblichen patriotischen Symbole jetzt auch links von der Mitte gefragt?
Diese Symbole haben zu Beginn der Arbeiterbewegung eine grosse Rolle gespielt. Erst die 68er Linke hat sich in der Schweiz davon distanziert, verständlicherweise, denn damals waren es die Symbole des Finanzfreisinns, der ‚Gnomen' von der Zürcher Bahnhofstrasse und der Fichenschweiz. Doch seit dem Ende des Kalten Krieges sind diese Muster nicht mehr gleich. Seit wir mit der Armeeabschaffungsinitiative als Auslöser die Armee innerhalb von 15 Jahren von 800'000 auf 120'000 Leute reduziert haben, hat sich sehr viel geändert in diesem Land. Diese grossen Zusammenhänge müssen wir mehr in den Vordergrund stellen.
Ausserdem: Heute jetten und surfen fast alle in der ganzen Welt herum. Wenn wir ehrlich sind, kommen alle wieder gern ‚heim', denn wir alle haben eine Sehnsucht nach Heimat, sozialer Verortung. Mittlerweile ist es ein Trend, sich zu den nationalen Symbolen zu bekennen. Der hat im Herbst 2001, als ich während der UNO-Debatte mit dem Schweizerkreuz-T-Shirt ans Rednerpult getreten bin, erst angefangen. Eine Fahne zu schwenken, das wäre mir niemals in den Sinn gekommen, aber ein T-Shirt mit Schweizerkreuz, das hat etwas augenzwinkerndes und modernes. Meine Botschaft: Die Schweiz gehört allen, und die Öffnung zur Welt ist für unser Land von nationaler Bedeutung. Die SVP-Mannen haben sofort begriffen, dass sie soeben enteignet wurden.
Will sich die SP denn mit dem neuen Patriotismus auch vom "Motzerimage" befreien?
Ja, auch, denn es ist falsch. Gerade die Linke hat sich immer stark, wenn auch kritisch für diesen Staat engagiert! Allerdings muss das Leiden der Linken an der Schweiz, das so typisch war für die neunziger Jahre, nun vorbei sein. Heute stehen wir für die selbstbewusste, offene und solidarische Schweiz.